Warum ein Kind trotz aller Bemühungen nicht richtig schreiben und lesen lernt ¹

Immer mehr Kinder haben Probleme beim Lesen- und Schreibenlernen. Auch Erwachsene, denen in der Schulzeit nicht grundlegend geholfen wurde, haben in der heutigen hektischen Zeit die gleichen Probleme und geraten im Berufsleben immer mehr unter Druck. Deshalb möchten wir Sie anhand von einigen Beispielen aus dem Alltag mit den Begriffen AVWS (Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungs-Störungen), Low-Level-Funktionen und Wahrnehmungstrennschärfe bekannt machen,, denn oft liegen darin die Ursachen für die vorgenannten Schwierigkeiten.

Ein alltäglicher Fall: Ein Schulkind kommt im Deutschunterricht nicht mit. Es erhält Förder- und/oder Nachhilfeunterricht, damit sich seine Leistungen verbessern sollen. Aber ein messbarer Erfolg bleibt häufig aus. Hat der verantwortliche Lehrer schon einmal etwas über die Themen AVWS oder Low-Level-Funktionen  gehört, empfiehlt er den Eltern eine entsprechende Prüfung des Kindes. Andernfalls verweigern sich diese Kinder früher oder später dem für sie unsinnigen Symptomtraining. Sie gelten dann als bockig und schwierig, nicht lernfähig oder -willig und landen, selbst bei einem überdurchschnittlichen IQ, nicht selten auf der Sonderschule. Diesen Kindern fehlen Grundfertigkeiten im Umgang mit Sprache. Diese können ermittelt und nachgeholt werden.

Ein anderer Fall aus dem täglichen Leben: Eine Mutter hat das Gefühl, ihr Kind hört nicht richtig. Sie geht zum HNO-Arzt und schildert diesem Folgendes:

  • Mein Kind reagiert oft nur verzögert auf Ansprache.
  • Diktate, die wir zu Hause üben, sind fehlerfrei; in der Schule hingegen führt derselbe Text am nächsten Tag zu einer wahren Fehlerhäufung.
  • Das Kind kann sich keine mehrstufigen Aufträge merken.
  • Unter Belastung spricht es oft undeutlich / verwaschen.
  • Es weiß nie, aus welcher Richtung gesprochen wird, dabei rede ich schon lauter als sonst.
  • Es ist zudem noch geräuschempfindlich.

Der Arzt prüft in der Regel das periphere Hören des Kindes, erstellt ein Audiogramm und sagt der Mutter, dass ihr Kind hervorragend hört, und sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Sicher kommen Ihnen diese beiden Beispiele bekannt vor, ohne dass ihnen aber die zugrunde liegenden Ursachen und etwaige Abhilfemaßnahmen dagegen geläufig sind. Der Mensch kann Töne, Klänge und Laute hören, diese werden aber erst in der zentralen Hörverarbeitung in sinnvolle Informationen umgesetzt. Ist dies nicht der Fall, so sprechen wir von einer AVWS. Wir können diesem Kind immer sagen, nun hör doch mal hin … und diesen Satz kennen wir alle; es wird trotzdem Probleme in der Aussprache und Schriftsprache haben.

Um Sprache zu verstehen und dann in eigene Sprache sowie in Schriftsprache umzusetzen, muss unser Gehirn enorm viel leisten und wichtige Grundfertigkeiten (insbesondere die oben erwähnten Low-Level-Funktionen) voll entwickelt haben.

Die kürzesten Konsonanten der deutschen Sprache sind nur rund 30 Millisekunden lang. Wenn wir aber den entsprechenden Laut in dieser Zeit nicht wahrgenommen haben, hat unser Gehirn Schwierigkeiten zu entschlüsseln, zu verstehen. Sprache klingt dann so ähnlich wie:

Den ◊reis der ◊annen habe ich im ◊opf.

Natürlich lässt sich der Satz aus dem Zusammenhang entschlüsseln. Aber sind es nun die Kannen oder Tannen? Der Aufwand, um Sprache zu verstehen, ist viel größer und damit anstrengender, als wenn jeder Laut direkt verstanden wird. Deshalb sind AVWS-Kinder auch nach einem Schulvormittag erschöpfter und müder als andere, weil sie ständig aus der Erinnerung arbeiten und Gehörtes nicht direkt verarbeiten. Erwachsene haben ähnliche Probleme im Beruf. Denn dieses Problem verwächst sich nicht.

Neben einwandfreien Low-Level-Funktionen wie Zeitverarbeitung, Richtungshören, Tonhöhenunterscheidung benötigen wir eine daraus weitgehend resultierende einwandfreie Wahrnehmungstrennschärfe, um Sprache sicher zu verstehen.

Die Wahrnehmungstrennschärfe ist die Fähigkeit eines Menschen, ähnlich klingende Laute voneinander zu unterscheiden. Hier erkennen Sie, dass eine zu langsame Ordnungsschwelle (also Zeitverarbeitung) diese Wahrnehmungstrennschärfe negativ beeinflussen wird. Aber auch bei unauffälligen Low-Level-Funktionen ist die Fertigkeit der sicheren Lauterkennung, auch „phonologische Bewusstheit“ genannt, häufig trainingsbedürftig.

Ein weiteres Beispiel aus dem täglichen Leben: Jamand stellt sich mit seinem Namen vor. Sie haben diesen nicht richtig verstanden, fragen aber nicht mehr nach. Wenn wir dann unser Gegenüber ansprechen müssen, werden wir ähnlich Klingendes nachnuscheln. Sollten wir den Namen nun gar schreiben, scheitern wir endgültig. Solchen Problemen sind die betroffenen Kinder permanent ausgesetzt – dies erzeugt Unsicherheiten, die zu Verweigerungen un den uns bekannten Auffälligkeiten und Problemen führen.

Seit Anfang 1990 gibt es Geräte und Trainingsverfahren, um diesen Kindern und auch Erwachsenen zu helfen. Inzwischen setzen Universitäten, Schulen, Kliniken, Ärzte, Therapeuten und verstärkt auch Eltern betroffener Kinder diese Methode ein, um der wachsenden Zahl von AVWS-Kindern endlich zielgerichtet zu helfen. Mehrere Studien durch die Medizinische Hochschule Hannover liefern inzwischen den wissenschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit dieser Trainingsmethode, die in Fachkreisen als Warnke-Verfahren bekannt ist. Details zu den Studien und weitere Informationen finden Sie auch im Internet unter:

http://www.meditech.de

http://www.bvl-legasthenie.de

¹ Quelle: Flyer - Institut für Sprach-, Hör- und Bewegungsförderung Barbara Mies-Berlin

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